Meine Freundin vorne weg mit dem Nissan, B 1000 mit Hänger und mir am Steuer hinterher. Es ging durch die wundervolle Landschaft Ostfrankreichs. Die Sonne schickte ihre hellen Strahlen auf sattgrüne Wiesen. Sanft wellten sich grasbewachsene Hügel neben der Straße. Schwarzweiße Kühe kauten Gras und tummelten sich vor Felswänden auf blumenbeschmückten Wiesen und ließen ab und an einen dicken Haufen fallen. Freundliches Licht fiel ins Fahrerhaus, der Zweitakter schnurrte, der Hänger zuckelte brav hinterher und die Tachometernadel zitterte zwischen 60 und 70. Dann bei 50, bei 40, bei 30 … „Sch***e!!! Was ist denn jetzt los???“ Ich hupte oft und laut und lange, da meine Freundin mit dem Nissan fröhlich mit 60 Sachen weitergefahren war. Ich wurde immer langsamer. Hinter mir blinkte und hupte es. Ich kam auf dem Straßenrand zum Stehen. Die hinter mir gefahrenen überholten und schwenkten wütend ihre Fäuste aus den Fenstern. Ich schickte einen freundlichen Mittelfingergruß hinterher. Irgendwie hatte ich plötzlich keine Lust mehr. Auf nichts. Spasseshalber schaute ich mal die Zündkerzen nach, putzte sie, stellte sie ein und ruckelte mal an diversen Kabeln rum. Inzwischen war auch meine Freundin wieder eingetroffen. „Was ist passiert?“ „Der Turbolader ist im Ar*** und ich kann nur noch 250 fahren!“ Ich startete den Motor und versuchte wieder loszufahren. Es ging auch, zwar nicht so kraftvoll wie vorher, aber es ging. Zwischendurch licht- und hupte ich mal, weil der B 1000 wieder langsamer wurde, aber er berappelte sich immer wieder und es ging weiter. Dann lichthupte und blinkte ich nur noch als ich dringendst tanken musste. Ich sah zwei oder drei Tankstellen an mir vorüber ziehen, bevor ich meiner Freundin durch Licht- und Winkzeichen klargemacht hatte, dass der Barkas mal an die Tränke müsse. Aber auch das ging. Wir machten eine kleine Pause. Meine Freundin war ein wenig fertig. Der wenige Schlaf, die Hitze – mich hielt die Freude über das Nachhausekommen und der frische Fahrtwind, der aus dem Seitenfenster kam wach und frisch. Wir machten aus, spätestens nach 250 km einen Tankstopp einzulegen, damit ich nicht wieder wild hupend und gestikulierend auf mich Aufmerksam machen musste.
Es klappte nur bedingt. Nach 250 Kilometern fiel meiner Freundin auf , das es hinter ihr hupt und blinkt. Nach nochmal fünfzig Kilometern blieb ich stehen. Keinen Sprit mehr. Aber, Cleverle das ich bin, hatte ich vorgesorgt und einen Fünfliterkanister eingepackt. Eine aufgeschnittene Zweitaktölplastikflasche hielt als Trichter her. Sprit rein und weiter ging’s zur nächsten Tanke. So ging die Fahrt denn weiter. Zwischendurch versuchten mich ein paar irre spanische LKW-Fahrer zu drangsalieren. Meine Freundin verlor mich kurzfristig aus den Augen. Irgendwo am Horizont sah ich unseren Nissan. Aber sonst verlief die Fahrt ruhig.
Wir kamen in die sanft beeindruckende Landschaft der Ardennen. Im Sonnenuntergang ging es vorbei an den Schlachtfeldern des ersten Weltkriegs. Verdun. Die Straße war schmal, kaum ein Auto kam uns entgegen. Links und rechts der Straße lagen endlose Getreidefelder, die sich sanft im Wind wogen. Einzelne Bäume hoben sich dunkel gegen den Abendhimmel ab. Es war reine Freude mit dem Barkas durch diese Landschaft zu fahren. Ich war ein wenig traurig, dass meine Freundin jetzt nicht neben mir saß. Das gleichförmige Schnurren des Zweitakters, die sanfte Landschaft und ein überwältigender Sonnenuntergang stimmten eine Saite in mir an, dass ich mich überwältigt und glücklich fühlte. Ich musste an die Menschen denken, die hier vor 85 Jahren waren. Stakkato der Arttilleriegeschosse. Granatenkrater. Geplatzte Leiber. Zerschossene Köpfe. Kinder mit Gewehren auf dem Rücken, die ihre Gedärme in den Händen halten. Die sie blutkotzend und pissend versuchen wieder in ihre zerschossenen Bäuche zu stopfen. Kreischende, dreckige Gesichter, die heulend nach ihrer Mama schreien, während ein deutsches, französisches oder englisches Bajonett sich in ihr Rückgrat bohrt. Schützengräben, in die nachts der Feind schleicht und seinen erwachenden Feind ins flehende Auge schaut und bittet, sich nicht zu wehren, damit er ihn schneller töten kann. Über allem das Stahlkonzert der Granaten und Maschinengewehrfeuer als ständige Untermalung. Tanks die über flüchtende Menschen fahren und dabei ihre Schädel platzen lassen. Lief hier irgendwo Hitler rum und bekam eine Gasgranate ab? War es hier, wo er verwundet wurde, von wo aus er ins Lazarett nach Pasewalk geliefert wurde, wo er hörte, dass der Krieg verloren sei und er flennend wie ein Mädchen beschloss Politiker zu werden? Hier passierte die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Ich fahr jetzt hier rum und bin glücklich. Schon komisch.
Kurz vor der belgischen Grenze verballerten wir unsere letzten französischen Franc – in Orangina, Käse und Bier. Weiter ging’s. Ein kleines Schild neben der Straße meldete irgendwann: „Willkommen in Belgien“. Kurz hinter der Grenze schoben wir uns eine Pommes rein (Wer hat eigentlich behauptet, in Belgien gäb’s die leckersten Pommes?) und weiter ging’s. Es wurde dunkel, es wurde nacht, es wurde rot auf der Tankanzeige …