Mit hängenden Schultern und bebender Unterlippe kroch ich niedergedrückt aus dem Wagen: „Oah neeeee!“ – ich schüttelte den Wagen, kloppte wie ein Irrer auf dem Anlasser rum. Setzte mich wieder in den Wagen, drehte den Zündschlüssel: „Kommschonkommschonkommschon, du schaffst das, jetzt maahaahach (gewaltiges Zittern in der Stimme)!!!“ „Klick“. Ich sah meiner Freundin ins Gesicht und konnte daraus ungefähr schließen, wie ich jetzt aus meinem rausschaute. Nicht fröhlich. Das Spielchen also nochmal von vorne. Wieder Parkplatz, wieder Barkas, wieder ziemlich ungünstige Aussichten nach Hause zu kommen.
Wir holten Kissen und Decke aus dem Nissan und machten den Barkas für die Nacht fertig. Schnell nochmal die belgische Erde begießen und ab in die Heia. Wir schliefen schlecht, aber tief, waren beide ein wenig erschöpft. Der eine und der andere Alb marschierte durch die Träume und doch: Der nächste Morgen kam bestimmt – das ließ sich leider nicht vermeiden.
Die Sonne kitzelte uns ziemlich früh wach. Die Kleider pappten klamm am Körper. Die schlechte Luft kondensierte an den Fenstern und hinterließ trübe Flüsschen an den Scheiben. Ein Augenlid gelupft: „Sch***e!“, zuckte es durch den Kopf, „Is‘ doch kein Alptraum gewesen.“ Wir pellten uns aus der reifüberzogenen Bettdecke, stelzten nach draußen und versuchten mit der Hilfe von Wasser, Zahnbürste, -pasta und ein wenig Seife uns zu restaurieren. Obwohl wir, außer Orangina keine Drogen (Nikotin, Alkohol oder Ähnliches) konsumiert hatten, fühlte sich mein Körper in den Klamotten wie nach drei Tagen „Rock am Ring“ ohne Waschen, aber mit Dauersaufen an. Buuärch! „HUNGER“ riefen unsere Mägen. In der freudigen Erwartung schnell nach Hause zu kommen, hatten wir den meisten Proviant gestern schon genossen. So wühlten wir in verschiedenen Winkeln des Barkas nach Nahrung. „Ich hab noch ‘nen Joghurt gefunden!“ – „Ich hab ein Stück Käse!“ – „Zeig mal. Oha! Vielleicht sollten wir den nicht mehr essen …!“ Nachdem der Käse unter Freudengeschrei in die Weiten Belgiens geflüchtet war, beschlossen wir die essbaren Souvenirs anzugreifen. “Die Wurst für Oppa?“ „Zu salzig, wir haben nur noch einen Liter Orangina.“ „Ha! Hier ist noch ein Käse, der tut noch! Und wenn wir dieses Stückchen Brot in Orangina einweichen …“ Auf jeden Fall war uns nach dem Genuss der Fundsachen nicht mehr kotzübel vor Hunger, sondern nur noch übel. Vor Hunger und von dem Betonbrot, was sich nur ganz ganz schlecht verdauen ließ.
Körperlich waren wir also soweit wiederhergestellt, dass wir unseren Geist voll und ganz unserer Tagesaufgabe widmen konnten. Es musste nun circa acht Uhr morgens gewesen sein. Und, o Wunder, neben einem LKW, der wohl mit uns auf dem Parkplatz übernachtet hatte stand ein gelbes Auto mit blauen Streifen, der Aufschrift nach das belgische Pendant zum ADAC. „JAWOLL! RETTUNG! HURRA!“ Vorsichtig, die Gedanken an die „Tolle Hilfe“ des ADAC nach dem Scheibenbruch noch im Hinterkopf, näherte ich mich dem hilfeversprechenden Fahrzeug. „Bonjour“, mit Hand und Fuß unser Problem erklärt. Wortschwall auf Französisch. „Wie soll ich so was verstehen?“ frage ich den netten in fröhliches Gelb gekleideten Herrn. „Pardon?“ Also nochmal von vorne. Nach einer Weile hat er unser Problem verstanden. Dann die Schicksalsfrage, gestellt in unwilligem Ton: „Haben sie eine Auslandspolice des ADAC (er sprach das „ADACK“ aus)?“ „Sicher das, aber klar, kommense mit zum Wagen!“ Überzeugt, die benötigte Hilfe von diesem unwilligen Gesellen zu bekommen, ging ich nun siegesgewiss mit John-Wayne-Schritten vor ihm her zum B1000. „Schatz!“ rief ich mit zufriedenstem Tonfall meiner Liebsten zu, „Zeig dem netten Herrn doch unseren Auslandsschein vom ADAC.“ Der nette Mann in Gelb und ich standen neben der Fahrertür des B1000. Meine Freundin guckte mich nach meiner Aufforderung erschrocken an. Ich zog die linke Augenbraue hoch und ließ mein Herz in die Hose plumpsen. Meine Freundin wurde hektisch: „Also, wenn ich ihn eingepackt habe, dann müsste er hier drin sein!“ Kennt jemand diese Art von Ansage? Dann müsste dieser jemand auch die Gefühlsaufwallungen kennen, die mich in diesem Moment durchfuhren. Aber wie heißt es doch so menschenfreundlich: „Die Todesstrafe ist abgeschafft“. Je länger meine Freundin suchte, desto verächtlicher schaute der Gelbe auf unser Fahrzeug. „Kein Schein. keine Hilfe“ ließ er sich herab zu sagen. Gelbwurst! Meine Freundin suchte und suchte, mit Tränen in den Augen, aber der Schein war nicht da. Die Wurst in Gelbpelle machte sich grußlos davon. Ich zerstampfte ein wenig belgisch Erde, strapazierte meine Stimmbänder durch Anrufung verschiedener Fäkaliennamen.
„ … und nun?“ Freundin suchte immer noch, obwohl sie mir mit einem „du-hast-mir-aber-nicht-gesagt-dass-ich-den-Schein einpacken-soll“ doch schon die Schuld in die Schuhe geschoben hatte . „Hör auf zu suchen – hilft nix.“ Ich packte mir erstmal einen Campingstuhl, die Flasche mit Orangina, ein gutes Buch und versuchte ein wenig zu entspannen. Soll ja helfen in Stresssituationen. Meine Freundin ging zur Notrufsäule und rief hinein, dass wir Hilfe bräuchten, kam zurück und war nicht entspannt. Nachdem wir eine Stunde gewartet hatten, ging ich nochmal zur Säule und rief ein Sprüchlein hinein. „Illfä kommtä!“ Schönen Merci auch, vielleicht auch heute noch? „Innö einör alben Stunndö!“ Ohne Hoffnung latschte ich zurück zum Wagen und versuchte weiter zu entspannen. Meine Freundin entspannte nun mit.
Zwischendurch erinnerte ich mich daran, dass mir eine alter DDR-KFZ-Meister (Hallo Klaus!) erzählt hatte, man könne den Anlasser notstarten, indem man die beiden dicken Schrauben, die sich am Vorderende befinden, überbrückt. Ich legte mich also mit einer Zange unter den B1000, erinnerte meine Freundin daran, dass sie darauf achtet den Gang rauszunehmen und auch sonst in eventuell aufkommenden Notsituationen (der Anlasser brennt, explodiert, ich bekomme einen tödlichen Stromschlag o.ä.) geistesgegenwärtig zu reagieren. Ich holte tief Luft, rief nochmal den Namen meiner allerliebsten Freundin und überbrückte. Es funkte, es stank, der Anlasser rappelte – und das war es denn auch. Nix passiert. Nochmal probieren. Der Anlasser drehte, der Motor sagt was: „Pröttprött“ und hört wieder auf. Nochmal probiert und nochmal – aber es bringt nix!
Die halbe Stunde war nun auch um. Der Gelbe kommt nicht. Und jetzt? Weiß nicht, Sch***e. Ja, Sch***e.
Wir schauten inzwischen in jedes Auto, das den Parkplatz anfuhr, um auch ja sicher zu gehen, dass wir den netten Menschen in Gelb nicht verpassen. die Leute schauten erschrocken ob des Blickkontaktes aus den Autos, schauten auf unsere abgerissenen Gestalten, auf unser Auto und mancheiner gab unvermittelt Gas und verließ flotten Reifens wieder den Parkplatz. Und doch, irgendwann tauchte ein Bulli auf. Gelb mit blauen streifen. Der Wagen hielt neben uns, mit laufendem Motor, ein gelbes Männchen kurbelte die Seitenscheibe herunter, öffnete den Mund und sprach: „haben Sie einen „ADACK“-Auslandsschein?“ „Jaaaaaaaaaa, aber nicht hier!“ tönten wir unisono. Das Männlein schüttelte traurig seinen Kopf, “dann darf ich Ihnen nicht helfen.”
“SIE KÖNNEN UNS DOCH HIER NICHT STEHEN LASSEN!”, zwei Paar tränengefüllte Augen flehten das gelbe Männchen an.