Die Scherben waren überall. Im ganzen Führerhaus, in den Haaren, auf der Kleidung und auf der Haut. Unsere Arme waren übersät mit dutzender kleiner Wunden. Der erste Gedanke: „SCH****E!“ Der zweite: „Was nun?“ – „Ohne Scheibe fährt sich’s schlecht. Ich bin im ADAC! Gottseidank!“ Also anrufen. Wir standen mitten im Wald. „Wo ist das nächste Telefon? Ein Auto!“ Ich stellte mich an den Straßenrand und winke. Eine Horde französischer Jugendlicher schaute aus einem Kleinwagen: “HÖHÖHÖHÖ!” und lachte uns dreckig aus. “Ar***löcher!” Noch ein Wagen. Der hält. „Entschuldigung, wir haben ein Problem – haben Sie ein Handy?“ Da mir die Vokabeln fehlten, um viel zu erklären, gab’s nur die Sparversion.
„Aber ja!” antwortete der nette Herr. „Kann man damit auch ins Ausland telefonieren?“ Ein misstrauischer Blick des netten Herrn „Hmmmm … NON!“ Weg war er. „Na denn, danke!“
Uns blieb nichts anderes übrig als eine Telefonzelle zu suchen. Mit dem Handfeger machten wir vorsorglich alle Scherben von den Sitzen –
und wo wir sie noch so fanden, schaufelten sie raus und fuhren los
(Falls sich mal jemand gewundert hat, warum mitten in der französischen Pampa ein Haufen Scherben am Straßenrand liegt:
Das war unsere Windschutzscheibe!). Nach ein paar Kilometern und
ca. 583 toten Fliegen zwischen den Zähnen fanden wir das erste Haus – eine Tankstelle. Meine bleiche, zitternde Freundin am Rande des Zusammenbruchs blieb im Auto und versuchte ihr Nervenkostüm zu flicken. In der Tankstelle gab es kein Telefon, aber der nette Monsieur hinterm Tresen wies mir den Weg ins nächste Dorf. Dort gab es eine Post, in der ich eine Telefonkarte kaufen konnte, um hernach eine Telefonzelle zu suchen und telefonieren zu können. Dank der präzisen Wegbeschreibung fand ich die Post.
Meine Freundin noch immer im Barkas an der Tankstelle („Hoffentlich klappt die jetzt nicht weg!“) – und ich stellte mich vor dem einzig geöffneten Postschalter an. Es war nur eine Person vor mir dran, eine hutzlige, kleine, alte Dame. Leider war der Beamte ein sehr gemütlicher, äußerst beleibter und außerordentlich redseliger, so dass es eine Weile dauerte, bis ich an der Reihe war. Als er mich fragte, was ich wollte (ich nahm an, dass er das tat) verstand ich kein Wort. Mein Französisch ist nicht außerordentlich gut, aber das meiste verstehe ich schon. Außer
bei diesem Herrn. Ich schaute ihn verständnislos an. Er schwitzte.
Dicke Perlen glänzten in seinem feisten Gesicht unter einer widerlich schmalzigen Tolle. Er sprach mich wiederum an, mit dem Habitus einer beleidigten 75-jährigen Hollywood-Diva, der man gerade erklärt hatte, dass man schon ihre Wangen am Rücken festnieten müsste, um ihre Krähenfüße zu glätten. Plötzlich wurde mir auch klar, warum ich kein Wort verstand: der Mann redete so tuntig, dass kein Vokal und kein Konsonant an seiner eigentlich vorgesehen Stelle war. Ich sprach in das feiste, wabbelnde, schwitzende, unförmige Gesicht mein Sprüchlein, dass ich eine Telefonkarte wollte. Er verstand mich auch. Nachdem wir noch geklärt hatten, wieviel Einheiten ich bräuchte (auch das ging nicht ohne Verständigungsschwierigkeiten ab), hatte ich das Ersehnte und fand auch schnell eine Telefonzelle.
Ich wählte die Auslandsnummer des ADAC. „ADääAASSÄÄ. Guuttön Tack, wie konnisch Innän älfönn?“ Ein Franzose der Deutsch spricht. Na, immerhin! „Bei unserem Auto ist die Windschutzscheibe irreparabel kaputt. Wir stehen in der Nähe von xxx und kommen nicht weiter.“ „Färrönn sie nach xxxx. Dorrt ist einnö Wärckstott. Sie bäställön die Schajbö undö Donnörstagö odör Frajtagö konnan Sie wejtärfarrönnö.“ „Die Scheibe zu bestellen dürfte schwierig werden, da das Auto ein Oldtimer ist – außerdem muss ich Montag wieder zur Arbeit.“ Es war Freitag früh am Nachmittag „Sagönnö Sie mirr die Nummör därr Tälläfonnzällä isch rufö Sie ssurügg.“ Gesagt getan. Dann stand ich vor der Telefonzelle. Heute Mittag war es schon heiß – jetzt war es tödlich. Ich schwitzte und schwitzte, die Back-telefon-ofen-zelle hatte jede Zelle meines Körpers erhitzt. Und ich musste auf diesen verdammten Anruf des ADAC warten. Und meine Freundin im Barkas. Ich schaute so aggressiv und irre wie ich konnte in die Runde, damit auch niemand auf die Idee käme in MEINER Telefonzelle telefonieren zu wollen. Irgendwann, die Sonne war schon ein Stück weitergewandert, klingelte es in der Telefonzelle. „Hallo!“ „Färrönn sie nach xxxx. Dorrt ist einnö Wärckstott. Sie bäställön die Schajbö undö Donnörstagö odör Frajtagö konnan Sie wejtärfarrönnö.“ „Ich muss aber Montag arbeiten.“ „Farrön Sie miet dämm Ssug ssurügg.“ „Wie weit ist denn xxxx?“ „350 Gillomäädäärr.“ „Meine Scheibe ist komplett hinüber, fahren geht nicht. Könne Sie uns nicht abschleppen lassen?.“ „Was farrönn Sie füür ejn Ohto?“ „Barkas.“ „Wie alltö?“ „20 Jahre.“ „Isch ruhfä in Münnschönn an undö fraggö“ Und wieder das gleiche Spiel. RINGRING! „Hallo?“ „Ihr Ohto iest ssu altö, wirr übörrnähmönn die Kosten niescht. Farrön Sie nach xxxx, stellen sie ihrr Ohto abbö undö farrönnö sie miet dämm Sug ssurügg.“ „Wie soll ich denn dahin kommen – könne Sie uns nicht abeschleppen lassen?“ „Ihr Ohto ist ssu alt.“ „Ich bin extra ADAC-Plus-Mitglied, damit Sie mir auch im Ausland helfen!“ „Ihr Ohto ist ssu alt.“ RRUMMS! Da hab ich aufgelegt. „SO EIN SCH****VEREIN!!!!!!!!!!!!“ Nach dieser wertvollen Hilfe trabte ich zurück zum Auto. Mein Freundin sah schon ein wenig besser aus. Nachdem ich ihr von dem gar so hilfreichen Telefonat erzählt hatte, schwand ein Großteil der Erholung wieder aus dem Gesicht. Was tun?